Beitragvon Mike Molto » Di 7. Dez 2010, 15:05
Wenn Traditionsvereine sterben (Artikel aus dem "Handelsblatt" vom 07.12.2010
Der erste Absteiger aus der Regionalliga Süd steht bereits fest: die Spielvereinigung Weiden. Doch der Grund ist nicht der große Punkterückstand auf den Tabellenvorletzten. Der Verein hat schlicht kein Geld mehr und muss den Spielbetrieb einstellen. Das Insolvenzverfahren wird nun entscheiden, ob die Oberpfälzer nur eine Klasse, in die Bayernliga, absteigen oder ob der Club aufgelöst wird.
Weiden ist kein Einzelfall, vor einer Woche hat der Regionalligist SSV Ulm Insolvenz angemeldet (das zweite Mal nach 2001), vor zwei Wochen wurde bekannt, dass der ehemalige Regionalligist Eintracht Bamberg nicht mehr zu retten ist. Andere Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit: Lüneburger SK, Bonner SC, Victoria Köln, SSV Reutlingen, Preußen Hameln, Eintracht Bad Kreuznach. Alles lokal sehr beliebte Traditionsvereine, zum Teil ehemalige Zweitligisten.
Vereine gingen schon immer Pleite, doch in den vergangenen Jahren, vor allem in dieser Saison, häufen sich die Fälle. "Das Vereinssterben wird sich dramatisieren", prophezeit Hardy Grüne, Buchautor und Experte für Amateurfußball. Auf seinem Blog und auf Twitter führt er einen Insolvenzticker.
Was sind die Ursachen? "Die Verantwortung für wirtschaftliches Handeln liegt bei den Vereinen", sagt der DFB-Direktor Helmut Sandrock. Juristisch und Fall für Fall betrachtet, stimmt das. Viele Vorstände wollen unbedingt aufsteigen, träumen von der Zweiten Liga, wenn nicht sogar von mehr. Von Wirtschaft verstehen sie wenig. Sie machen Schulden nach dem Es-wird-schon-irgendwie-gut-gehen-Prinzip. Weidens Clubspitze zum Beispiel muss sich von ihrem Trainer Günter Güttler schwere Vorwürfe anhören: "Man kann nicht Spieler und Trainer locken, ihnen Dinge versprechen, die überhaupt nicht stimmen."
"Die Vereinsführung hat sich bemüht, aber dilettantisch agiert", fügt Axel Kulas über den SSV Reutlingen hinzu, dessen Insolvenz er verwaltet. "Aber woher sollen die das können? Das sind Amateure." Kulas verortet den Fehler im System. In der Regionalliga sei auf Dauer kein ausgeglichener Haushalt möglich, allenfalls mit einem großzügigen Mäzen. Die Vereine werden zum Risiko verleitet, sagt auch Grüne. "Für seriös wirtschaftende Vereine ist das Überleben schwierig geworden."
Die Regionalliga ist die höchste Amateurliga, doch faktisch wird dort Profifußball betrieben. Trainiert wird meist täglich, Vereine zahlen Spielern und Mitarbeitern Löhne, finanzieren weite Reisen und Übernachtungen, honorieren Ordner und Sanitäter, haben Auflagen des DFB zu erfüllen. Die Einnahmen sind dagegen niedrig. Sponsoren sind für den "kleinen Fußball" immer schwerer zu gewinnen, das TV-Geld über die Zentralvermarktung des DFB beläuft sich auf 90.000 Euro im Jahr. Viel zu wenig, die Clubs müssen zusehen, dass sie die Regionalliga schnell überspringen. Eins höher, in der Dritten Liga, gibt es das Zehnfache.
Es gibt weitere Kritikpunkte: Die Reserveteams, in den aktuellen Regionalliga-Staffeln sind es 25 von 54, also fast die Hälfte. Vereine wie Hoffenheim, der HSV, aber auch der SV Wehen können in der Regionalliga ihren Nachwuchs unter Wettbewerbsbedingungen an ihre Profiteams heranführen. Doch sie bringen so gut wie keine Zuschauer zu Auswärtsspielen mit – ein weiterer Verdienstausfall für die Weidens und Reutlingens.
Das Interesse am Amateurfußball leidet generell an einer Übersättigung. Das Fernsehen zeigt mittlerweile fast jeden Tag ein Profispiel live, am Wochenende zu verschiedenen Zeiten. Gerade der Termin am Sonntag um 15.30 Uhr kostet einige Vereine Zuschauer, weil das noch immer die Kernzeit der Amateure ist. Arminia Hannover beispielsweise verzeichnet seit der Einführung dieses Termins im Sommer 2009 einen Zuschauerrückgang. Auch Reutlingen leidet darunter, zumal der große Nachbar VfB Stuttgart in dieser Saison sehr häufig sonntags spielt, weil er donnerstags in der Europa League antritt.
Beide Entwicklungen belegen, dass die Interessen der Amateure sportpolitisch wenig zählen, sobald der Profifußball beteiligt ist. "Der DFB ist ein kommerzielles Unternehmen", sagt Kulas. "Ihm ist der Spielbetrieb wichtig, denn damit lässt sich Geld verdienen. Ob Vereine Pleite gehen, ist egal. Dass die Gladiatoren nach dem Kampf dem Löwen zum Fraß vorgeworfen werden, hat den Kaiser auch nie interessiert." Eigentlich sollte der DFB die Lobby der Amateure sein, sie in der Diskussion mit dem Ligaverband DFL vertreten.
Kulas fordert, die Amateure gänzlich von den Profis abzukoppeln, also Auf- und Abstieg an der Schnittstelle abzuschaffen. Das widerspricht traditionellem deutschem Fußballverständnis, doch es wäre die ehrlichere Lösung. Ohnehin verzichten seit Jahren viele Oberligisten wie der Hamburger Serienmeister Victoria freiwillig auf den Aufstieg, weil sie sich nicht auf das Vabanquespiel Regionalliga einlassen möchten. "Die Schere zwischen Profi- und leistungsorientiertem Amateurfußball ist schon groß, und sie wird immer größer", sagt Grüne.
Ab der Saison 2012/2013 wird die Regionalliga reformiert: ihre Zahl von drei auf fünf erhöht, pro Staffel werden maximal sieben Reserveteams spielen. "Die wichtigste Botschaft", sagt Sandrock, "ist, dass eine stärkere Grenze zwischen Profi- und Amateurfußball gezogen wird." Der DFB erhofft sich dadurch mehr finanzielle Solidität. Aber auch dieser Entschluss wird von vielen Vereinen als schlechter Kompromiss gewertet. Ihr Ziel, die Reserveteams in eine eigene Liga zu verbannen, wurde abgelehnt. Die DFL konnte sich durchsetzen, die Eliteförderung der Profis gilt mehr als wie Wünsche der Basis. "Der DFB lässt die Vereine mit ihren Problemen alleine", sagt Grüne.
Nach einer Insolvenz verschwinden einige Vereine für immer, doch für manche ist sie eine Chance. In der Oberliga Baden-Württemberg steht der SSV Reutlingen im Mittelfeld auf Rang 11. Er tritt mit einer jungen Mannschaft an, vor allem mit einer billigen Mannschaft. "Ehre statt Kohle", sagt Kulas, sei das Motto der Elf.